Segeln im Mittelmeer 2022

#3
Moin Harm!

Ich hab deine Anfrage und die Mail von Malte mal zum Anlaß genommen, mich beim Forum anzumelden - danke für den Anstoß!

1999 waren meine Frau und ich das erste mal mit dem ganz neu überholten Piraten in Sardinien im Maddalenen-Archipel. Damals hatte ich fürchterlich peinliche Fehler gemacht, die ich eigentlich auch mal auf der HPF-Homepage zur Mahnung und Belustigung veröffentlichen wollte.

Dann hatten wir das Boot 2001 in der Adria am Gargano, 2008 in der Lagune von Venedig, 2010 und 2013 war ich allein auf Sardinien und 2014 und 2015 mit der Familie.

Es lohnt sich! Ein paar Tips fallen mir dazu aus leidvoller Erfahrung ein:

1.
In Italien ist ein Nachweis über eine Haftpflichtversicherung für das Segelboot obligatorisch! Ich wußte das nicht und habe mir einen Scan von der Versicherung mailen lassen, den ich dann mit einem Wörterbuch (Segelboot = Barca Vela) dem Hafenmeister gezeigt habe.
In Frankreich brauchte man vor 16 Jahren noch ein Flaggenzertifikat (nur theoretisch, ich mußte es nie vorzeigen), aber ich glaube, das haben die Franzosen mittlerweile liberalisiert.

2.
Ich würde nur in der Nachsaison fahren - Ende September ist das Meer herrlich warm, die Hitze angenehm erträglich und die Fährpreise wieder halbwegs bezahlbar. Ab mitte Oktober schließen die Campingplätze und das Wetter wird schlagartig schlecht (zumindest in Nordsardinien!).

3.
Erato ist doch auch ein Massivholzboot - hast du eine Beschichtung des Unterwasserschiffs? Die Anreise nach Süden (oder mal ein, zwei Tage auf dem Trailer wegen Sturm) trocknet die Planken viel schneller aus, als wir das hier gewöhnt sind! Während der Reise lohnt es sich, bei jeder Pause wieder Wasser in der Bilge zu verteilen.

Einer meiner oben angesprochenen Fehler war, nicht daran zu denken - wir kippten das Boot bei 4 Bft. auflandigem Wind vom Strand ins Wasser und gingen ziemlich schnell unter! und dann versagte die Billig-Plastik-Handpumpe... auaua... seitdem fahre ich nur noch mit einer guten elektrischen Lenzpumpe und mindestens 17 AH Bleigelakku.

4.
Das Boot sollte also im Wasser bleiben. Für einen Strandurlaub ohne Hafen nehmt bloß keinen üblichen 4 kg-Jollen-Klappdraggen! Ein 6 kg Brittany-Anker (ich glaube, heute heißt der "Bric") mit 5 m Kettenvorlauf 6 mm sollte es schon sein, manchmal habe ich einen zweiten in V-Form vor dem Bug ausgebracht, wenn nachts schlechtes Wetter drohte.

Auch das eine Erfahrung unserer ersten Katastrophentage 1999, wir bekamen das absaufende Boot nicht mehr auf den Strand (zu schwer...) und nicht verankert. Später kam ich dann auf die Methode, das Boot mit der 30 m Ankerleine mit dem Auto den Strand hochzuziehen. Im Hafen ist das alles natürlich kein Problem, und in der Nachsaison (s.o.!) sollte man auch einen Platz finden.

5.
Ich habe großen Respekt vor den schnellen Wetterumschwüngen am Mittelmeer! Wir Nordeuropäer haben auch kein Gefühl dafür: Einmal schreckte ich morgens um 5 hoch, weil schlagartig 4 - 5 Windstärken einsetzten, statt wie sonst erst um 11 Uhr - und der Tag wurde dann wie alle anderen... und am Gargano konnte ich die Zeichen nicht deuten, daß ein Sturm von 10 - 11 Bft. aufkam und war froh, daß wir am Campingplatz gewarnt wurden! (Ich habe das Boot auf den Trailer gerettet, und einen Tag später konnte ich wieder durch die Bodenbretter gucken).

6.
Geschützte Reviere: Das Maddalenen-Archipel in Nordost-Sardinien z.B. ist ein Traumrevier, geschützt durch viele Inseln und tiefe Buchten, kaum verbaut, mit vielen kleinen Sandbuchten und interessanten skurrilen Felsformationen... familientauglich! Die Lagune von Venedig ist natürlich erst recht das ideale Jollenrevier zum Segeln. Dort sind zwar keine Sandstrände zum Baden und Sonnen, aber dafür kleine Häfen und Ufermolen als Ausgangspunkt für die Kulturtrips.

Lange Küstenlinien, wie beschrieben in dem Text "Sardinien 2010", sind eigentlich zu heikel - man kann nur bei optimalem Wind lossegeln, und ich hatte dann Angst vor den Wetterumschlägen fernab vom Hafen!
2010 klappte das ganz gut, aber 2013 habe ich die selbe Tour im Golfo di Orosei versucht und mußte schon bei 4 Windstärken Südost wegen der Hackwelle reumütig aufgeben.
Das hängt natürlich von der Topographie ab, in flacherem Gelände ist ablandiger Wind nicht so schlimm, aber hinter 600 Meter hohen Felsen hat man dann entweder Flaute oder heftige Böen.

7.
Der Außenborder hat sich gut bewährt. 1999 hatten wir in Sardinien das Vergnügen, einen 20 m²-Strandkatamaran abzuschleppen, der auf dem Rückweg von Korsika (!!) in der allabendlichen Flaute stehengeblieben war. Für mich ist der Motor ein großer Sicherheitsgewinn, da sich grade die stürmischen Gewitter mit einer Stunde Totalflaute ankündigen.

Jetzt habe ich lange und ausführlich genug geträumt... Nächstes Jahr im Herbst bin ich hoffentlich nicht mehr der einzige Pirat im Mittelmeer!

Schöne Grüße

Guido
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#3
Moin Harm!

Ich hab deine Anfrage und die Mail von Malte mal zum Anlaß genommen, mich beim Forum anzumelden - danke für den Anstoß!

1999 waren meine Frau und ich das erste mal mit dem ganz neu überholten Piraten in Sardinien im Maddalenen-Archipel. Damals hatte ich fürchterlich peinliche Fehler gemacht, die ich eigentlich auch mal auf der HPF-Homepage zur Mahnung und Belustigung veröffentlichen wollte.

Dann hatten wir das Boot 2001 in der Adria am Gargano, 2008 in der Lagune von Venedig, 2010 und 2013 war ich allein auf Sardinien und 2014 und 2015 mit der Familie.

Es lohnt sich! Ein paar Tips fallen mir dazu aus leidvoller Erfahrung ein:

1.
In Italien ist ein Nachweis über eine Haftpflichtversicherung für das Segelboot obligatorisch! Ich wußte das nicht und habe mir einen Scan von der Versicherung mailen lassen, den ich dann mit einem Wörterbuch (Segelboot = Barca Vela) dem Hafenmeister gezeigt habe.
In Frankreich brauchte man vor 16 Jahren noch ein Flaggenzertifikat (nur theoretisch, ich mußte es nie vorzeigen), aber ich glaube, das haben die Franzosen mittlerweile liberalisiert.

2.
Ich würde nur in der Nachsaison fahren - Ende September ist das Meer herrlich warm, die Hitze angenehm erträglich und die Fährpreise wieder halbwegs bezahlbar. Ab mitte Oktober schließen die Campingplätze und das Wetter wird schlagartig schlecht (zumindest in Nordsardinien!).

3.
Erato ist doch auch ein Massivholzboot - hast du eine Beschichtung des Unterwasserschiffs? Die Anreise nach Süden (oder mal ein, zwei Tage auf dem Trailer wegen Sturm) trocknet die Planken viel schneller aus, als wir das hier gewöhnt sind! Während der Reise lohnt es sich, bei jeder Pause wieder Wasser in der Bilge zu verteilen.

Einer meiner oben angesprochenen Fehler war, nicht daran zu denken - wir kippten das Boot bei 4 Bft. auflandigem Wind vom Strand ins Wasser und gingen ziemlich schnell unter! und dann versagte die Billig-Plastik-Handpumpe... auaua... seitdem fahre ich nur noch mit einer guten elektrischen Lenzpumpe und mindestens 17 AH Bleigelakku.

4.
Das Boot sollte also im Wasser bleiben. Für einen Strandurlaub ohne Hafen nehmt bloß keinen üblichen 4 kg-Jollen-Klappdraggen! Ein 6 kg Brittany-Anker (ich glaube, heute heißt der "Bric") mit 5 m Kettenvorlauf 6 mm sollte es schon sein, manchmal habe ich einen zweiten in V-Form vor dem Bug ausgebracht, wenn nachts schlechtes Wetter drohte.

Auch das eine Erfahrung unserer ersten Katastrophentage 1999, wir bekamen das absaufende Boot nicht mehr auf den Strand (zu schwer...) und nicht verankert. Später kam ich dann auf die Methode, das Boot mit der 30 m Ankerleine mit dem Auto den Strand hochzuziehen. Im Hafen ist das alles natürlich kein Problem, und in der Nachsaison (s.o.!) sollte man auch einen Platz finden.

5.
Ich habe großen Respekt vor den schnellen Wetterumschwüngen am Mittelmeer! Wir Nordeuropäer haben auch kein Gefühl dafür: Einmal schreckte ich morgens um 5 hoch, weil schlagartig 4 - 5 Windstärken einsetzten, statt wie sonst erst um 11 Uhr - und der Tag wurde dann wie alle anderen... und am Gargano konnte ich die Zeichen nicht deuten, daß ein Sturm von 10 - 11 Bft. aufkam und war froh, daß wir am Campingplatz gewarnt wurden! (Ich habe das Boot auf den Trailer gerettet, und einen Tag später konnte ich wieder durch die Bodenbretter gucken).

6.
Geschützte Reviere: Das Maddalenen-Archipel in Nordost-Sardinien z.B. ist ein Traumrevier, geschützt durch viele Inseln und tiefe Buchten, kaum verbaut, mit vielen kleinen Sandbuchten und interessanten skurrilen Felsformationen... familientauglich! Die Lagune von Venedig ist natürlich erst recht das ideale Jollenrevier zum Segeln. Dort sind zwar keine Sandstrände zum Baden und Sonnen, aber dafür kleine Häfen und Ufermolen als Ausgangspunkt für die Kulturtrips.

Lange Küstenlinien, wie beschrieben in dem Text "Sardinien 2010", sind eigentlich zu heikel - man kann nur bei optimalem Wind lossegeln, und ich hatte dann Angst vor den Wetterumschlägen fernab vom Hafen!
2010 klappte das ganz gut, aber 2013 habe ich die selbe Tour im Golfo di Orosei versucht und mußte schon bei 4 Windstärken Südost wegen der Hackwelle reumütig aufgeben.
Das hängt natürlich von der Topographie ab, in flacherem Gelände ist ablandiger Wind nicht so schlimm, aber hinter 600 Meter hohen Felsen hat man dann entweder Flaute oder heftige Böen.

7.
Der Außenborder hat sich gut bewährt. 1999 hatten wir in Sardinien das Vergnügen, einen 20 m²-Strandkatamaran abzuschleppen, der auf dem Rückweg von Korsika (!!) in der allabendlichen Flaute stehengeblieben war. Für mich ist der Motor ein großer Sicherheitsgewinn, da sich grade die stürmischen Gewitter mit einer Stunde Totalflaute ankündigen.

Jetzt habe ich lange und ausführlich genug geträumt... Nächstes Jahr im Herbst bin ich hoffentlich nicht mehr der einzige Pirat im Mittelmeer!

Schöne Grüße

Guido
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Segeln im Mittelmeer 2022 - von Ilex - 10.10.2021, 12:55
RE: Segeln im Mittelmeer 2022 - von Malte - 10.10.2021, 17:56
RE: Segeln im Mittelmeer 2022 - von Guido - 13.10.2021, 20:29
RE: Segeln im Mittelmeer 2022 - von Ilex - 23.10.2021, 08:40
RE: Segeln im Mittelmeer 2022 - von MikeD - 05.12.2021, 16:12

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